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San Francisco, ein Geisterdorf

Es ist Mittwoch, der 8. April, 12.00h mittags. High noon. Nein, ich spreche nicht von einem Dorf aus einem Western, in Amerika, es ist unser zentrales Dorf hier auf Formentera, San Fracisco Javier. Vier Tage vor Ostern. Um diese Zeit ist der Ort normalerweise das Zentrum für alle, die Geschäfte, Bars, Hostels und Hotels besitzen. Man braucht alles für die Renovierung, Organisation und Bürokratie. Es ist jedes Jahr der Moment der grössten Aktivität, um sich auf die Saison vorzubereiten. Das Dorf ist lebendig und erinnert an einen Ameisenhaufen, oder an die ersten Eidechsen, die aus ihrem Winterschlaf huschend die Sonne suchen.

Dieses Jahr ist alles anders. Die Epidemie des Coronavirus hat alle Aktivitäten lahmgelegt. Das staatliche Notstandsdekret, welches noch bis zum 25.4. gilt, hat das Ostergeschäft – in erster Linie spanischer Tourismus – kaputtgemacht. Man ist verunsichert, wie es weitergehen soll. Die Auflagen sind hart. Man darf, außer für notwendige Einkäufe in Supermärkten, das Haus nicht verlassen. Alle Geschäfte sind geschlossen. Bautätigkeiten und Vorbereitungen auf die Saison wie Malerarbeiten, und Renovierungen im Außenbereich der Gebäude sind verboten. Das Dorf hat sich in ein Geisterdorf verwandelt.

Die normalerweise längst fertigen Renovierungen sind unterbrochen
Strasse mit Hotel Es Marés
Der Marktplatz wirkt wie ausgestorben

Auf dem Markt traf ich den Pastor Miquel Ángel Riera, Eigentlich immer positiv und sehr „volksnah“, stand er gedankenversunken in seinem Grundstück neben der Zisterne an der Kirche. „Auch arbeitslos?“, frage ich ihn. Und er wurde ernst.. Ja, es ist tatsächlich eine schwere Zeit. Keine Taufe, keine Hochzeit, und am Schlimmsten, keine Beerdigung, wie wir sie kennen. Nur drei Personen dürfen dabei sein und das mit Abstand. Keine tröstende Umarmung, kein Händedruck.

Später höre ich aber plötzlich zwei Glockenschläge. Sollte das das Morsezeichen sein, um den Menschen ein Zeichen zu geben, dass er da, hinter seiner Mauer, auf sie wartet, mit Abstand? Menschen, die „zum Einkaufen“ gehen, falls die Polizeistreife sie fragen sollte, aber die in Wirklichkeit mit ihm sprechen wollen. Weil sie einfach ein bisschen Wärme brauchen, und weil ihr täglicher Gottesdienst auch nicht stattfinden darf.

Jetzt hat er seine Aktivitäten auf sein Facebook verlegt und am Sonntag hält er die Predigt im Inselradio, im Radio Illa. Zu Ostern will er auf jeden Fall die Kirche aufmachen. Es wird zwar keiner kommen, aber er möchte nicht, dass die Türen „seines Hauses“ geschlossen bleiben. Sie war schon immer ein Zufluchtsort für die Insulaner, ja sogar eine Wehrkirche, aber gegen den Virus kann sich auch Don Miquel Ángel nicht wehren. So ist alles auf moderne Weise per Medientechnik organisiert, sodass die Menschen sich auch zu Ostern nicht allein fühlen sollen.

Vor kurzem sah man ihn plötzlich mit Bart. Und in einem Interview mit dem Diario de Ibiza erklärte er, dass es seine Art sei, und immer in einer schwierigen Situation ließe er sich den Bart wachsen. Vielleicht soll es ein Protest sein, aber bei wem? Oder vielleicht ein noch engeres Gefühl der Nähe mit denen, die am meisten zu leiden haben unter dieser Talwanderung. Er arbeitet aktiv in der Caritas mit und sieht jeden Tag die Armut vieler Menschen hier auf der Insel.

So sieht er eben jetzt ein bisschen mehr wie ein Gestrandeter auf einer Insel aus.

Aber ich wollte noch schnell auf der Post einen Brief abgeben. Und fast erschrocken sah ich mich plötzlich mit einer Riesenschlange von Wartenden vor der Tür stehen. Über zwölf Kunden, und jeweils 1.50m Abstand, zählte ich, um mir die Zeit zu vertreiben.

Wow, so viele Menschen habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen! Eine 15 Meter lange Reihe, wie aus einem surrealistischen Film geschnitten: Man kennt sich, aber erkennt sich momentan oft nur an der Stimme. Die Masken in allen Variationen machen ein Erkennen schwierig. Von einfachen, selbstgemachten aus einem Tuch, bis zu den Luxuxmodellen. Gummihandschue tragen fast alle. Und das in allen Farben, ostergerecht in blau, rosa, natur, schwarz…Alle warten geduldig und genießen die gute Ausrede des Wartens. Ein schöner, sonniger Tag eigentlich.

Als ich endlich nach einer dreiviertel Stunde die Post verlasse, wird es wieder leer um mich. Aber ich will die Situation ausnutzen und gehe schnell nochmal zum Super Eroski. Und siehe da, eine neue Schlange. Aktuell dürfen nur noch 5-7 Personen mit einem Mal eintreten. Die Guardia Civil steht im Eingang. Die Angestellten machen „Dienst nach Vorschrift“.

Man findet sogar jetzt Parkplätze vor der Tür

Also, warten wir wieder und ich nutze die Gelegenheit um ein bisschen bekannte Gesichter zu fragen, wie sie die Situation so meistern.. Man kennt sich, hat Vertrauen. Einer ist besorgt um seine Arbeitsstelle. Er ist seit Jahren Koch in dem gleichen Restaurant. Jetzt wäre er schon längst dort, um die Küche und alles Nötige nach der langen Auszeit vorzubereiten. Das Geld fehlt ihm zwar, aber er ist froh, dass er sein Arbeitslosengeld aufgrund neuer Dekrete weiter bekommt.

Wir sitzen alle in einem Boot, das beruhigt. Ein anderer, Franzose, und seit langer Zeit auf Formentera, ist sauer. Er hat im Estany d´Es Peix ein kleines Boot liegen. Und vor einigen Tagen hatten wir nachts eine Art Hurrikane. Er war besorgt, dass sein Boot eventuell diesen Extremsturm nicht ausgehalten und sich vom Anker losgerissen hätte. Auf dem Weg dorthin erwische ihn die Polizei. Eine Strafe. Noch weiß er nicht wie es weitergeht. Er hat zwar Einspruch erhoben, aber jeden Tag gibt es „Multas“ (Geldstrafen).

Einer in der Reihe erzählte Ähnliches. Er ist extra durch Wald, wo er wohnt, gegangen und wollte kein „Risiko“ für irgendjemanden sein. Er dachte, allein am Strand ein bisschen zu laufen sei kein Problem. Ja, das Dekret… Die Drohne, die zur Überwachung eingesetzt wird, hat ihn mit einem Starfoto erwischt.

Und so gibt es unendlich viele Geschichten. Die zwei Corona-Fälle waren die Einzigen bisher. Wir beklatschen, wie es überall in ganz Spanien üblich geworden ist, und danken den Krankenpflegern und -Schwestern, dem gesamten Sanitätspersonal, dem Reinigungsteam im Krankenhaus, aber auch den anderen… den Straßenfegern, der Müllabfuhr und allen, die die Basisversorgung aufrechterhalten. Hier sind wir jeweils samstags um 20.00 h auf den Balkons, Terrassen und an den Fenstern, um zu klatschen.

Dann haben wir einen Wein, ein Bier oder wie wir den Drink insgesamt nennen, einen „GIN VIRUS“ und tanzen nach der Musik, die uns Mariano beschert. Er hat die potentesten und lautesten Lautsprecher in San Francisco, und damit das ganze Dorf mithören kann, fährt er für 10 Minuten volles Volumen hoch. Die Polizei hat es erlaubt. Dann hört man plötzlich die Sirenen der Polizeiautos und Krankenwagen. Das ist ihr Tribut „DANKE“ zu sagen. Und nach einer halben Stunde ist jeder wieder verschwunden und jeder lebt die Quarantäne auf seine Weise weiter.

Auf dem Heimweg komme ich an der Apotheke vorbei und auch da steht man, mit noch mehr Abstand, vor der Tür warten, bis der nächste eintreten darf.

Als ich bei Rosa vorbeikomme, sie arbeitet in der Drogerie „Tot NET“, ist geschlossen. Sie hat nur an bestimmten Tagen geöffnet, und dann wird das Gitter nur einen Spalt weit aufgemacht. Insider wissen das. Man klopft an die Glastür und fragt.. “ Darf man eintreten?“ Bei Rosa darf man immer eintreten.. Obwohl genauso wie auch bei Apotheken, ein Schild hängt DESINFEKTIONSMITTEL UND MASKEN AUSVERKAUFT.

Auf meinem Weg nach Hause komme ich bei Maria vorbei und der Anblick ihres ihr Hauses ist wie Balsam auf meine melancholische Seele. Ein Garten, mit wildwachsenden Margeriten, soweit das Auge reicht. Und im Hintergrund, an ihrem kleinen Hausgarten blühen in einem Kindermalbuch-Rot eine ganze Hecke von Geranien. Ihr weißes Haus mit den taubenblauen Fensterläden erinnert mich tatsächlich an ein Märchenbuch und ich bin versöhnt. Inmitten dieses Idylle kann ich die ganzen Sorgen und Probleme mit dem Corona total ausblenden. Und doch sind sie immer anwesend.

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Barbara

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Barbara
Schlagwörter: Coronavirus

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